Wieder jährt sich dieses unglaubliche Ereignis, der Tag der Deutschen Einheit!
Mein Großvater lebte seinerzeit in Lübeck während sein Bruder in Rostock seinen Lebensmittelpunkt hatte. Die Brüder hatten eine sehr starke persönliche Bindung und freuten sich jedesmal von Herzen, wenn sie die Möglichkeit hatten, sich zu sehen und in die Arme zu schließen. Und das taten sie nach dem Mauerfall gern und oft. Meine Großmutter konnte endlich nach zig Jahren in ihre Heimat Sachsen reisen, wann immer sie wollte, ihre Mutter und ihre beste Freundin besuchen. Und nicht nur ihnen erging es so, sondern zahlreichen Familien, die durch die Grenzanlagen, die mitten durch Deutschland verliefen, unter den Trennungen von geliebten Verwandten und Freunden gelitten haben.
Manch einer sagt auch heute noch, „hätte es doch den Mauerfall nie gegeben! Zieht die Mauer wieder hoch!“ Sicher steckt hinter solchen Aussagen eine Erfahrung der letzten Jahrzehnte, eine Sehnsucht nach Zeiten, als noch „alles besser war“. Ich bin jenen Menschen unglaublich dankbar, die damals dafür gekämpft und demonstriert haben, dass es diese Grenze zwischen Ost und West nicht mehr gibt. Ich bin unglaublich dankbar, weil ich gesehen habe, wie erleichtert und voller Freude Familien wieder zu Familien wurden. Welch Euphorie ging damals durch Deutschland – in Ost wie West!
Ich gehöre schon zur nachfolgenden Generation. Teilung Deutschlands, Mauer im Land und im Kopf, Kalter Krieg – völlig normal. Dennoch ich bin unheimlich dankbar, weil mir der Mauerfall Begegnungen mit Menschen ermöglicht hat, die mir heute lieb und teuer sind. Mein Freund Klaus beispielsweise, der mir das Leben auf der „anderen Seite“ näher gebracht hat. Mit seinen Schilderungen hat er mir gezeigt, dass ein Miteinander nicht nur möglich sondern auch sehr wichtig ist. Dass wir Menschen aufeinander achten können und sollen, dass wir uns gegenseitig helfen/ unterstützen, für einander da sind. Er hat mir verdeutlicht, dass die Wertevorstellung, wie ich sie bis dahin kannte, sich mit den Ellenbogen durch die Gesellschaft zu bewegen, herz- und lieb- und hirnlos sind. Klaus, ich danke Dir für all die Gespräche, die wir miteinander hatten und für Deine Freundschaft. Mittlerweile weilst Du seit einigen Jahren nicht mehr unter uns, Du hast den Kampf gegen den Krebs verloren. Erst gestern, beim Sichern meiner Dateien auf dem MacBook, hatte ich wieder ein Foto von Dir betrachtet und stelle fest, ich vermisse Dich. Wo auch immer Du bist, ich hoffe, es geht Dir gut und mein „Danke“ erreicht Dich.
Im Laufe der letzten Jahre habe ich mich auf diversen Reisen wiedergefunden und habe Land und Leute kennengelernt: die Mecklenburgische Seenplatte, die Uckermark, das Oderbruch. Ich bin auf den Spuren meiner Vorfahren in Sachsen gewandelt, habe gesehen, wo sie gelebt und gewirkt haben. Welch wunderbare Landschaften ich sehen durfte und welch spannenden Geschichten und Schicksalsschilderungen durfte ich lauschen!
Ja, ich habe mich auf diversen Reisen „wiedergefunden“ – oder auch nicht. Eigentlich eher nicht, ich hab mich selbst verloren und war nicht mehr mit mir „eins“. Es gab keine Einheit in dem was ich fühlte und dem, was ich tat. Ich habe funktioniert, mein Brötchengeld nach Hause gebracht, um meine Kinder zu ernähren. Auf meinen Reisen bin ich immer wieder Menschen begegnet, von denen ich einige heute zu meinen wertvollen Freunden zähle; Menschen, die mit sich kongruent, im Reinen sind, die das tun, was ihnen Freude bereitet. Und ich gönne es ihnen von Herzen. Ich erträumte mir ein Leben, das ich „irgendwann“ einmal führen möchte. Von einem „irgendwann“ in ferner Zukunft, in der ich genau das tue, was mir Spaß macht. Ja, träumen ist schön, auf die Verwirklichung hinarbeiten ist ebenso schön. Nur: ich lebe heute und wer weiß, was in 10, 20 oder 30 Jahren ist? Ich möchte mich heute wohl fühlen und tun, wonach mein Herz ruft. Das „funktionieren“ setzt mir Grenzen, meine ganz eigene Mauer, die ich so hoch gezogen habe, dass ich zwar sehen kann, was ich vielleicht möchte, aber es nicht erreiche, wenn ich sie nicht einreiße. Ich fühlte mich ein wenig, wie auf einem Schiff auf stürmischer See. Als Kapitän meines Schiffes versagte ich, sah mich nicht in dieser Rolle, sondern putzte als Smutje die Kombüse und hoffte darauf, irgendwie an den Strudeln des Lebens vorbei navigiert zu werden. Ich ging den Besatzungsmitgliedern, die ebenfalls auf diesem Schiff sind und mir teilweise unangenehm waren, aus dem Wege soweit möglich.
Und nun kam jemand daher und sagte, dass genau diese Besatzungsmitglieder mir einen Spiegel vorhalten. Geht ja gar nicht! Und was heißt, ich soll das Ruder selbst in die Hand nehmen, die Unwegbarkeiten umschiffen, meine Grenzen einreißen und die Mauer fallen lassen, um genau dahin zu gelangen, wohin es mich zieht. Ups!
Auch diese Begegnung hätte es ohne den 29. November 1989 vermutlich nie gegeben. Diese Begegnung, die mir klar gemacht hat, wie wichtig es ist, im hier und jetzt zu leben und gleichzeitig große (großartige) Ziele zu setzen, die wirklich zu mir gehören. Eine Begegnung, die mich jeden Tag aufs neue lehrt, achtsam und in Liebe durch mein Leben zu gehen, bewusst in den Spiegel zu schauen, den mir meine Mitreisenden vor Augen halten.
Ich habe von all den Menschen, die mich in meinem Leben begleiten oder begleitet haben, so viel gelernt und es hört nicht auf – ich lerne weiter, solange ich die Lektionen meines Lebens bewusst wahrnehme, reflektiere und daraus Konsequenzen ziehe. Möglich, dass ich diese Erkenntnisse irgendwann von selbst bekommen hätte, ohne einen (Denk-) Anstoß von außen. Möglich, dass ich andere Wege gesucht und gefunden hätte, zu mir zu kommen und ebenso möglich, dass ganz andere Wegbegleiter(innen) meinen Lebensweg gekreuzt und bereichert hätten. Ja, alles möglich. Nur jetzt, zum Tag der Deutschen Einheit, ist mir wieder einmal so sehr bewusst, dass ich auf all die wertvollen Menschen, meine Freundinnen/ Freunde und die damit verbundenen Erlebnisse, nicht verzichten möchte. Freunde, ich danke Euch von Herzen.
Ich wünsche mir für uns alle ein grenzenloses und friedvolles Miteinander in Einheit und in Einigkeit!
Freiheit bedeutet auch Selbstverantwortung. Das beinhaltet auch unangenehme Situationen aushalten zu müssen. Ich denke, dass Mancheiner so seine Probleme damit hat. Vielleicht war man früher an „Futtertrögen“ und wenn man Ruhe gab und nicht aufmuckte wars ja bequem. Die negativen Seiten blendet man im Nachhinein halt aus. Wenn eh alles so gut war, warum flohen die Ostdeutschen dann zum Teil unter Lebensgefahr über die Grenze? Ich erlebte den Sommer 1989 im Burgenland an der ungarischen Grenze, da kamen ostdeutsche Flüchtlinge massenhaft durch die Weinberge von Ungarn nach Österreich. War alles so schön daheim und die waren halt nur .. ja was, undankbar, durch Propaganda verblendet, Feinde des Regimes? Eingesperrt sein, ducken und die eigene Meinung verschweigen, was ist gut daran?
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Die Frage nach all dem ist jetzt doch eher: Wo geht Deine Reise in der Zukunft und was bist Du bereit, dafür zu tun/zu „riskieren“?
Ich wünsche Dir auf jeden Fall alles Glück dieser Welt dabei!
Im Übrigen: ein sehr schöner Text, den Du da geschrieben hast
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Wohin die Reise geht? Meine eigene? Ins Unbekannte natürlich und ich bin neugierig, freue mich drauf. Welche Risiken ich eingehe, wer weiß. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt – so heißt es doch. Doch auch das will überlegt sein und sollte mit dem eigenen Wertegefühl immer übereinstimmen.
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